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hobby Testbericht 1959
Auf allen Strassen zu Hause :
Als Kreidler 1956 den Prototyp eines Kleinst-Kraftrades mit dreipferdigem 50-ccm Motor und Dreiganggetriebe vorstellten, kamen selbst Fachleute zu Fehlschlüssen. Man glaubte allgemein, daß es sich bei dieser Florett um eine 'von unten nach oben' gezüchtete Moped - Maschine handeln müsse, und ahnte nicht, daß genau das Gegenteil der Fall war. Auf Anforderung des portugiesischen Kreidler- Vertreters hatte die glänzend besetzte und eingerichtete Versuchsabteilung des Werkes eine 50- ccm-Rennmaschine entwickelt, die bei einer Leistung von fünf bis sechs PS ehrliche 102 km/h machte und die dem Mann in Portugal gleich auf Anhieb schöne Erfolge einbrachte. Entwicklungen von unten nach oben gehen manchmal ins Auge, weil die Konstruktion überzüchtet und das Material überlastet wird. Im Falle der Florett war man bei Kreidler in der glücklichen Lage, diesmal den umgekehrten Weg gehen zu können und drosselte die Portugal-Rennmaschine von ihrer ursprünglichen Leistung auf drei PS - ganz versuchsmäßig erst einmal. Das trug letztlich auch dazu bei, daß man vom Frühjahr 1957 an das unwahrscheinlich leistungsfähige Kleinst - Motorrad Kreidler - Florett im Laden erstehen konnte. (Das Florett-Moped, das ebenso schnittig aussieht und nur an Zylinder, Vergaser und Schalldämpfer Veränderungen gegenüber dem Motorrad aufweist, kam später.) 

In diesem Frühjahr hatte der Berliner Dauerfahrer Icke Jonas auf einem normalen Kreidler- Motorrad in sieben Tagen 5000 Kilometer zurückgelegt und dabei die Turracher Höhe mit ihrer 34prozentigen Steigung hinter sich gebracht, Das war allerhand für eine so kleine Maschine. In dieser Saison durften zum ersten Mal 50 - ccm-Motorräder bei der superharten ADAC - 3 - Tagefahrt in lsny mitmachen. Während die gesamte Konkurrenz schon am ersten Tage aufgeben mußte, hielten die sechs gestarteten Gelände-Floretts durch und sicherten sich den Klassensieg, zwei Gold- und vier Silberplaketten. Ebenfalls zum ersten Mal im deutschen Motorsport kam es bei den diesjährigen Moto - Cup - Veranstaltungen von Hockenheim auch zu den ersten offiziellen 50-ccm-Rennen. 

Als man unter die drei Veranstaltungen vom April, .Juli und September den berühmten Strich zog, sprang wiederum ein vierfacher Florett - Sieg heraus. Nun, nachdem sich sowohl die Normal - Florett als auch die Gelände- und Rennausführung derartig überzeugend gehalten hatten, wollte hobby ganz genau wissen, was an dieser kleinen Supermaschine, die interessanterweise vor wenigen Wochen in einer neuen Ausführung auf den Markt kam, wirklich dran ist.

Die Florett wurde also in Stuttgart mit 9,2 Liter Mischung rangvoll gefüllt, mit einem Fahrer - das heißt mit mir - und Gepäck von insgesamt 120 kg belastet und in Richtung Frankreich in Bewegung gesetzt. Trotz einem Gesamtgewicht von rund 200 Kilogramm, trotz Schwarzwaldsteigungen und -kurven und dem Grenzübergang bei Kehl war nach knapp sieben Fahrstunden Belfort und damit ein Durchschnitt von 50 km/h erreicht. Will man von einer derart belasteten 50-ccm- Maschine mehr verlangen ? 

LIEBENSWÜRDIGE UNTERSTÜTZUNG fand Autor H. G. Wolf nach seinem Sturz In Dosandans.
Ein. Gewalttour führte über Europas höchsten Paß, den Col de L'lseran.
Italienische Zollbeamte und die Florett am Kleinen St. Bernhard. 
Ein paar Stunden vorher hatte ich noch ein wenig mißtrauisch auf die vordere Langschwinge geschaut, die nicht in einer derben, geschwungenen Gabel, sondern im hinteren Schutzblechtei1 der Florett gelagert ist. Bei der Kreidler sorgt die mit 90-mm-Federung überaus langhubige, aus Ovalrohren zusammengesetzte Hinterradschwinge, die sich mit hydraulisch gedämpften Federbeinen gegen den Rahmen abstützt, für ein absolut spurfolgendes Antriebsrad. 

Der Kotflügel ist durch richtig bemessene Stärke und formsteife Profilierung ein grundsolider Lagerträger. Die sorgfältigste Auslegung von Nachlauf, Steuerwinkel und Raderhebungskurve tragen weiter dazu bei, daß ich mich hinter dem einwandfrei geradeaus führenden Vorderrad nunmehr absolut sicher fühlte. 

Inzwischen hatte ich mich mit einer hubraummäßig um das Dreifache überlegenen französischen Maschine in eine Rennerei eingelassen, mich dann der berüchtigten Rechtskurve von Désandans genähert. In der Dunkelheit das Warnschild übersehen - um gleich darauf das immer so überaus peinliche Gefühl zu haben: "Hier bist du doch um einiges zu schnell!" 

In einen solchen Fall, wenn nämlich von links aus dem nächtlichen Dunkel plötzlich eine Mauer auf ihn zukommt, legt ein einigermaßen routinierter Einspurfahrer seine Maschine in möglichst flachem Aufschlagwinkel hin. Dabei passiert meistens nicht viel. Diesmal aber sauste die Maschine funkensprühend und mit auf heulendem Motor irgendwohin. Ich war zwar nur leicht zerkratzt, doch stand zu befürchten, daß der Rahmen und das gesamte Fahrgestell bis zu den Felgen hinab für eine Weiterfahrt nicht mehr zu verwenden wären. Notgedrungen mußte ich bis zur Morgendämmerung warten. Dann zeigte sich erfreulicherweise daß , Rahmen und Fahrgestell keinen Schaden genommen hatten und der schiefstehende Lenker ohne Mühe gerichtet werden konnte. Der Rahmen übrigens - der besteht bei Kreidler nicht aus einem mit Blech verkleideten Rohr. Er enthält kein doppeltes Material und erfordert daher auch keine zweifache Fertigung. Er ist aus zwei Preßschalen zusammengeschweißt und besitzt größte Festigkeit und Formschönheit.

520 Kilometer in elf Stunden

Der hohe Gesamtdurchschnitt über eine möglichst weite Nonstop-Strecke von dem ich vor dem Sturz geträumt hatte - mit dem war es jetzt allerdings Essig. Darum schlug ich in der Gegend von Lyon Südostkurs ein, der auf kurvenreichen Strecken zu Europas höchstem Paß, dem Col de l'Iseran (2769 Meter) führen sollte. Nachdem wir zwei, die Florett und ich, aber in der Gegend von Albertville in die Nacht gekommen waren, fanden wir in Val d'Isére, der letzten großen Siedlung vor der Paßhöhe, ein Unterkommen und konnten mit einer Tagesleistung von 520 Kilometern in elf Stunden und mit einem Durchschnitt von 47,2 km/h doch wohlganz zufrieden sein. 

Anderntags, beim 16 Kilometer langen, 10 - prozentigen Aufstieg, zeigte sich, daß die für die Langstreckenfahrt vorgesehene Düse in Höhen von über 2500 Metern nicht mehr ganz ausreichte. Weil aber der eine oder andere Florett- Besitzer solche Gewaltstückchen auch ohne Düsenwechsel durchführen wird, mußte es auch die Test-Florett schaffen - und das tat sie dann auch! Auf der Rück- und Bergabfahrt nach Seéz, wo der neue Aufstieg - diesmal zum Kleinen St Bernhard (2188 Meter, 8 - prozentig) und zur französisch-italienischen Grenze - begann, hielt sich die doch leicht gehandicapte Maschine wieder ausgezeichnet. Die 28 Kilometer lange, allerdings nie übermäßig steile Auffahrt legten wir dann in 57 Minuten zurück und erreichten somit für diesen Streckenabschnitt eine Durchschnittsgeschwindigkeit von annähernd 30 km/h. Es ging dann gleich wieder hinunter ins traumhaft schöne Aosta - Tal, dann hinauf zum Großen St. Bernhard (2472 Meter, 11 Prozent), ins schweizerische Wallis und ins obere Rhonetal. Zum Abschluß dieses superharten Tages mutete ich meinem braven Roß noch von Visp aus den Aufstieg nach Unterbäch (etwa 1200 Meter) zu. Auch auf diesem unbefestigten, spurzerfurchten Geröllweg hielt sich die Maschine trotz großer Hinterlast und gar nicht geländemüßig breitem Lenker zu allen Zeiten einwandfrei und bestach immer wieder durch ihre unermüdliche Leistungsfreudigkeit. 


 
 
 
Letzte Prüfung: der Furka Paß (links)

 

 

Quellenangabe: 
Dieser Artikel entstammt der Zeitschrift "Hobby", Ausgabe 12 / 1959 und wurde ungekürzt übernommen.

Durch das Goms-Hochtal, über die Furka (2434 Meter, 10 Prozent) und schließlich auch noch über den Klausenpaß (1952 Meter, 8 Prozent) wurde die Florett anderntags nach Hause gejagt, wobei eine Tagesetappe von 557km (l) herauskam. Im Ganzen haben wir in vier Fahrtagen - trotz allen Erschwernissen - 1742 Kilometer, also einen Tagesdurchschnitt von 435,5 Kilometern, zustandegebracht, Wer nun aber denkt, eine Zweitaktmaschine: müsse unter solchen Umständen einen unheimlichen Durst entwickeln, der irrt sich gewaltig. Auf der gesamten Strecke von 1742 Kilometern wurden rund 50 Liter verfahren, das sind auf 100 Kilometer 2,8 Liter. 

Ohne Gepäck ergaben sich für die Florett bei der Beschleunigungsprüfung folgende Werte: 30 km/h = 4 sec., 40 km/h = 7,2 sec., 50 km/h = 13 sec.; 60 km/h = 25 sec.. 

Bei Belastung mit einem mittelschwerem Sozius erhöhten sich die Werte wie folgt: 30 km/h = 6 sec., 40 km/h = 11sec., 50 km/h = 20sec., 60 km/h = 40 sec. (Übersetzung bei beiden Messungen 14/34.) Die Spitzengeschwindigkeit wurde liegend mit 69,5 km/h ermittelt. Der Motor der Maschine ist jetzt weiterentwickelt: sie besitzt in der Serienausführung nunmehr das gleiche 3,6-PS-Antriebsaggregat wie die Sportmaschine, die in Isny so ausgezeichnet abgeschnitten hat. Außerdem wurde die neue Florett niedriger, der Tank wurde um einen Liter vergrößert und die Sitzbank der Gesamtlinienführung angepaßt. Mit einem Wort, es ist ein Fahrzeug entstanden, das nicht nur leistungsfreudig, sparsam und rasant ist, sondern das auch in seiner Gesamterscheinung durch ein wohlgestaltetes, durchaus eigenes und schnittiges Profil auffällt. H. G. Wolf

Erstellt: 16.04.2001
Stand: 08.05.2005
Bilder: Archiv
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